Gastkommentar von Andreas Bleeck: Politische Gedanken

Politische Gedanken
von Andreas Bleeck, Mitglied der Violetten in Hessen

Die Bundestagwahlen stehen an. Die Violetten nehmen in einigen Bundesländern daran teil. Spiritualität ist das Alleinstellungsmerkmal. Das Programm in einem Wort. Doch Spiritualität hat nur in einer Welt Bedeutung, die den Begriff benutzen kann. Viele Menschen sprechen das Wort aus, als wäre es eine tote Maus und halten es mit spitzen Fingern eklig von sich gerichtet. Spirituell ist weltfremd, betrügerisch und anmaßend zugleich. Deshalb nennen es viele Menschen aus der spirituellen Szene selbst nicht so, sie bevorzugen die Begriffe integral, ganzheitlich oder transpersonal. Doch allen gemein ist, dass sie akzeptiert werden in ihrer „Andersartigkeit“ und gehört in ihren Argumenten.
Die Piraten haben gezeigt, dass es eine Protestbewegung mit den richtigen Themen auf die politische Bühne schaffen kann. Zum Regieren gehört allerdings dazu, dass sich die Menschen einig sind und die Themen stimmen, dass sie eine Gemeinschaft bilden und Mitbestimmung und Transparenz selbst leben und nicht nur in der Überschrift führen. Demokratie ist diejenige Regierungsform, die die Eliten wiederum daran hindert, ihre Kompetenzen zu überschreiten. Je mehr demokratische Parteien es gibt, desto besser also. Politik braucht Namen und Führungsfiguren aus allen Bereichen, mit denen sich die Menschen identifizieren und auf deren Wort sie sich verlassen können.

Politik ist ein sensibles Zusammenspiel von Eliten, Basis, Fachgremien, inneren Zirkeln und Einzelkämpfern, die in einer Vision vereint sein müssen, um zu funktionieren. Spirituelles Denken geht von der Mündigkeit des Individuums aus und von der Maßgabe, dass jeder seinen Weg in sich selbst finden kann. Das schließt Visionen im Äußeren und politischen Zusammenschluss nicht aus, wenn es insgesamt zu einer Verbesserung der Kommunikation und zu einem respektvollen Miteinander führt. Die Themen rücken durch den Prozess selbst in den Vordergrund, sie ergeben sich mit dem Tun. Von einer neuen Partei erwartet man, dass sie Akzente setzt und sich mit eigenen Fähigkeiten profiliert. Wenn man sich vom Ideal einer völlig neuen Gesellschaftsordnung trennt, dann bieten sich etliche, praktische Themen an, von der alternativen Gesundheitsfürsorge über eine freie Schulbildung bis zu einer spirituellen Agrikultur, Liberalisierung der Suchtstoffe, Wohnraum für Gemeinschaftsprojekte usw.

Das zentrale Thema der Politik ist und bleibt aber die Wirtschaft. Durch die Wirtschaft drückt sich die Handlungsfähigkeit einer Region aus, der Wille zum Mitmachen und Verändern. Mit der Industrialisierung und dann mit der Globalisierung sind die Spielräume für selbstverwaltetes Handeln geringer geworden. Gleichzeitig wachsen virtuelle Räume und alternative Handelsplätze begünstigt durch Reisefreiheit und Internet. In 10 Jahren hat sich Deutschland mehr verändert, als in 100 Jahren zuvor. Kulturelle Banden wachsen unter Einwanderern, Fremdarbeitern, ausländischen Studenten und Angestellten großer Firmen und importieren neue Werte und Ideale in das führende Industrieland, auf der eine Weltgesellschaft aufbauen kann. Es geht nicht mehr nur um ein Europa; nur in den Grenzen von Europa zu denken ist dieselbe Art von Protektionismus und Fremdenangst, wie die aus der Zeit der Nationalstaaten. Es geht um die Überwindung aller Grenzen zwischen Menschen und verbindliche Regeln für alle. Eine Tramperin, die in Neuseeland arbeitet, sagte mir, schwärmte von ihrer Arbeitsgruppe aus 17 Nationen beiderlei Geschlechts, die vollkommen gleichberechtigt sind. Wenn das in Neuseeland geht, dann geht es überall.

Politik funktioniert unter der Prämisse der Teilhabe. Menschen arbeiten sich in Sachverhalte ein und treffen Entscheidungen für andere Menschen. Je mehr die Globalisierung voranschreitet, desto komplizierter wird es, den direkten Bezug dieser Entscheidungen herzustellen. Dies gilt für alle Menschen auf der Erde gleichermaßen. Wasserwerke werden in Deutschland privatisiert, Energieversorgung und Nahverkehrssysteme – weil Anleger neue Märkte brauchen. Und weil deutsche Firmen auch in anderen Ländern Gemeingut erwerben wollen. Der Aufstand des „Wutbürgers“ ist einkalkuliert in den Vertragsbruch und die Überlegenheit des Besitzenden. Wir sind Marionetten der Politik, egal ob wir für die Privatisierung sind oder dagegen und der einzige Weg aus der Unmündigkeit ist die politische Teilhabe. Um mitzubestimmen muss ein Mensch ein mündiger Bürger und Arbeiter sein, denn nur dieser kann durch seinen Einkauf Einfluss auf die Wirtschaft nehmen und durch seine Arbeitskraft Einfluss auf sein Unternehmen. Wer kein Geld hat, um sich Quell- oder Sprudelwasser zu kaufen, dem wird es egal sein, ob sein Leitungswasser privat oder staatlich ist. Hauptsache, es ist da. Die Mündigkeit regelt sich in erster Linie über den Besitz. Wer Geld hat, kann mit den Waren experimentieren und für sich herausfinden, was funktioniert und was nicht. Doch viele Menschen haben kein Geld und die, die Geld haben, haben keine Zeit, sich mit den Auswirkungen ihres Tuns zu beschäftigen. Sie sind beschäftigt, ihr Geld zu verwalten und zu verteidigen.

Wie handelt Mensch, dem ein spirituelles Zusammenleben am Herzen liegt? Der sich nicht auf Kosten anderer Menschen bereichern möchte. Der die Gemeingüter seiner Region selbst verwalten möchte. Der sich ein friedliches und faires Miteinander unter allen Menschen auf der Welt wünscht. Der Begriff Spiritualität (oder Menschenfreundlichkeit, Integralität, Ganzheitlichkeit, Transpersonalität oder wie immer wir es nennen mögen) ist im politischen Kontext nicht definiert, weil es bisher noch keine Zeit gab, in der alle Menschen miteinander (wirtschaftlich) verbunden waren. Trotzdem haben wir oder die meisten von uns dazu ein Gefühl, einen Wunsch oder ein Bedürfnis nach Liebe und gegenseitigem Respekt. Angesichts der Kriminalität und Rigidität, mit der Firmen ihre Gewinne einzufahren versuchen, ist der Reflex des Wegschauens verständlich. Seit Jahrhunderten werden die „Commons“, also der Gemeinbesitz der Bürger von der Wirtschaft vereinnahmt, die Teilhabe vor Ort beschränkt sich auf Tätigkeit in Vereinen und Verbänden mit geringem politischem Einfluss. In den Aufsichtsräten von Banken und städtischen Betrieben aber sitzen die üblichen Politiker, die Verhandlungen werden zumeist hinter verschlossenen Türen geführt. Kirchenvorstände sind vollkommen untransparent, eine öffentliche Diskussion unmöglich. Auch die wichtigen Ausschüsse der Politik laufen unter Ausschluss der Öffentlichkeit, weil dort wirtschaftliche und militärische Geheimnisse verhandelt werden. Die menschliche Wahrnehmung endet ein paar Meter hinter dem öffentlichen Weg. Das ist mir aufgefallen, als ich bei einem Spaziergang in unserem Wald einen Nebenpfad gegangen bin, auf dem sich eine kleine Müllhalde türmte, nur zehn Meter neben dem Hauptweg. Wir räumen das auf, was direkt vor unserer Nase liegt, aber daneben existiert eine andere Welt.

So kann es auch zu einem „Armutsbericht“ kommen, der behauptet, dass eine steigende Armut nicht in Zahlen belegbar sei. Doch Armut ist nichts, was sie in reinen Zahlen ausdrücken kann. Es ist ein Gefühl, dass sich verfestigt, wenn man an Tafeln für verschimmeltes Essen ansteht, sich bei der hundertsten Zeitarbeitsfirma vergeblich bewirbt und in Mülleimern nach Brauchbaren sucht – auch wenn man in Zahlen genauso viel wie vor zehn Jahren zur Verfügung hat. Viele Dinge sind erheblich teurer geworden, die in den Normalbedarf nicht mehr eingerechnet werden, wie Tabak, eine Tasse Kaffee oder ein Besuch im Schwimmbad. Die Energiekosten haben sich verdoppelt. Viele Menschen fühlen sich abgehängt und nicht ernst genommen, auch weil sie keine Chance haben, an den neuen Kommunikationsmedien teilzunehmen.

Die „neue Weltgesellschaft“ ist nicht automatisch spirituell. Sicherlich wird es einfacher, geistige Wert zu vermitteln und dem Menschen die Notwendigkeit eines gemeinsamen und achtsamen Umgangs mit der Natur ins Bewusstsein führen. Unsere Gewohnheiten und liebgewonnenen Vorteile allerdings ändern sich nicht so schnell. Es ist ein langer Weg in ein globales, spirituelles Bewusstsein, vor allem in der Wirtschaft und den eingeschliffenen Vorgängen der männlichen Etagen, ihren Ritualen und Wortgebräuchen, die Begriffe wie Gemeinschaft, Spiritualität und Ganzheitlichkeit belächeln. Aber auch sie haben die Endlichkeit ihrer Handlungsnormen schon selbst längst begriffen und spielen das Spiel, wie es seit Jahrtausenden von ihnen erwartet wird; ein Einzelner kann den notwendigen Sprung nur selten machen. Es ist eine Entwicklung, deren Impuls im letzten Jahrhundert von Menschen wie Ghandi, Mandela oder dem Dalai Lama angestoßen wurde und jetzt in den sogenannten Ländern der ersten Welt von Menschen konsequent fortgeführt werden muss.
Politik ist im Prinzip selbst eine hochspirituelle Angelegenheit. Ohne Einigung und Versöhnung kommt nichts voran, ein Einzelner Allein kann nichts bewirken. Die Systeme kommen und gehen, die Macht von der Kirche über die Fürsten bis zu den Tyrannen des 20. Jahrhunderts und den Vorstandsetagen der „Global Players“, in denen der Einzelne Mensch trotzdem gezwungen ist, sich zu arrangieren und sein Leben friedlich und bereichernd zu gestalten. Die Impulse gehen immer vom einzelnen Menschen und seinen Überzeugungen aus, unabhängig davon, wer an der Macht ist und was er für Ziele verfolgt. Es gibt immer alternative Wege und andere Gründe, als die vom System behaupteten.
Spiritualität wird von den Medien schnell mit Verschwörungstheorien und Esoterik in Verbindung gebracht. Doch sind bei den Violetten auch nicht mehr „Be-Geisterte“, als bei anderen Parteien auch. Die spirituelle Grundhaltung lässt nur grundsätzlich mehr Meinungsfreiheit zu. Warum gibt es Verschwörungstheorien? Weil es geheime Machenschaften und unglaubliche Verbrechen in der Welt gibt, über die nicht gesprochen werden darf. Das schlimme an „Nine/Eleven“ war nicht die Tat an sich, sondern die anschließende Unmöglichkeit darüber offen zu sprechen. Nur elf Jahre nach Ende des Kommunismus hat sich der Kapitalismus selbst an eine totalitäre Doktrin des Feinddenkens gekoppelt – scheinbar ohne Not. Doch es liegt in der Systematik der Systeme, dass sie ihre Macht nutzen, wenn sie niemand stoppt und Betrug und Eitelkeit verfestigen.

Psychologisch gesehen führt das Schweigen und Unterdrücken zu Wut, die wenn sie nicht kanalisiert werden kann, zu selbstzerstörerischen Handlungen führt. Die vielen dicken Menschen, die Süchtigen und Fernsehgucker, die Medikamentenabhängigen und Arbeitswütigen weichen einer Macht aus, der sie nicht gewachsen sind, sie sind ausgeliefert an ein System, bzw. sie fühlen sich ohnmächtig, was objektiv auf dasselbe hinaus läuft. Auch der „Terrorismus“ ist eine selbstzerstörerische Ausweichhandlung, sinnlos, weil er chancenlos ist. „Richtige Profis überfallen keine Bank, sie gründen eine Bank“, sagte schon Berthold Brecht. Selbstzerstörung führt auf Dauer zur Zerstörung der Mitwelt und wir alle haben diese selbstzerstörerischen Tendenzen in uns, die spätestens dann deutlich werden, wenn wir uns politisch oder gemeinschaftliche arrangieren müssen und merken, dass auch wir in einem Hamsterrad laufen.
Die Umweltprobleme auf der Welt sind ein Resultat des Umgangs der Menschen untereinander. Jahrmillionen ist der Mensch mit sich und der Natur zurechtgekommen, weil er in einem Einheitsbewusstsein gehandelt hat. Dieses Bewusstsein ist immer noch vorhanden, doch es liegt verschüttet unter den Narben nie enden wollenden Kriege, besonders in Europa. Kaum eine Generation hat in den letzten 2000 Jahren ohne Auseinandersetzung gelebt. Das Kämpfen ist uns fast zur zweiten Natur geworden und so scheint es schwierig, eine andere, friedliche Welt zu denken, die in Einklang mit der Schöpfung steht.

Was im Prinzip so leicht ist, ein Bedingungsloses Grundeinkommen für alle und eine Abschaffung der Massenvernichtungswaffen scheint unmöglich zu realisieren, obwohl es in den Grundgesetzten der Demokratien verankert ist. Es ist ein langer Weg dorthin, der mit Konsequenz und Ausdauer beschritten zum Ziel führen muss. Weil wir alle Menschen sind und weitere Kriege zur Zerstörung von uns allen führen werden. Und weil das Grundprinzip des Lebens nicht die Macht ist, sondern die Liebe. Wir beten die Macht an, wenn wir unsicher sind, aber wenn wir lieben, dann sind wir vollkommen sicher, das richtige zu tun. Doch sind diese Momente in der heutigen Politik so selten. Uns allen fehlt die Wertschätzung so bitterlich – so sehr, dass wir nicht wahrnehmen, dass sie dem Mitmenschen auch fehlt und dass nur wir es sind, die sie dem Anderen geben kann. Es braucht einen Moment der Pause, einen Augenblick der Ruhe, um dies zu begreifen. Einen Augenblick, der nicht länger ist, als diesen Artikel zu lesen, und das ist schon fast zu viel.

Andreas Bleeck, Astrologe und Autor, Frühjahr 2013

Links

Spirituelle Politik ist soziale Politik:
Politische Gedanken:
Glaube und Spiritualität in der Politik:
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Replik auf Frank Schirrmachers Buch „Ego“
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