Wir werden oft gefragt, was „spirituelle Politik“ im Alltag bedeutet. Wie kann ein solches Wort, welches bei den meisten Leuten nur ein Kopfschütteln auslöst, tatsächlich bei Problemen helfen? Diese Frage möchte ich anhand der aktuellen Probleme in Bielefeld beantworten.
Spirituell zu sein bedeutet unter anderem, sich zu bemühen, eine ganzheitliche Sicht auf ein Problem zu bekommen. Es bedeutet, nie eine festgefahrene Meinung zu haben und stets für Fakten offen zu sein. Jemand, der heute noch fest davon ausgeht, recht zu haben, sollte sich durch das richtige Argument vom Gegenteil überzeugen lassen, wenn es die Wahrheit besser beschreibt als das Vorherige. Ein spiritueller Mensch strebt stets danach, sich selbst zu verbessern und seine Umwelt ganzheitlich zu sehen und zu verstehen.
Wie passt das in unseren politischen Alltag? Sehr einfach! Welche Probleme belasten den Bielefelder an diesem Tage? Am meisten höre ich Beschwerden über den Jahnplatz, den Kesselbrink, die Bahnhaltestelle „Tüte“ und über zu laute Jugendzentren, die nach 21 Uhr keine Veranstaltungen mehr machen dürfen, da es die Nachbarn zu laut finden. Was haben diese Themen gemeinsam?
Bei all diesen „Brennpunkten“ wird stets nur das Symptom behandelt. Es wird gefordert, mehr Kameras zu installieren, um der Kriminalität Einhalt zu gebieten. Es finden Razzien statt, um Drogendealer und ihre Kundschaft zu vertreiben. Es werden einstweilige Verfügungen gegen Jugendzentren erwirkt. Um zur Verdeutlichung metaphorisch zu sprechen: Die Nachbarschaft steht in Flammen, und alles, was wir tun, ist unsere eigene Einfahrt zu löschen und uns zu beschweren, dass sie ständig neu Feuer fängt.
Diese Menschen, die ihr mit Kameras auf öffentlichen Plätzen beobachtet, sind EURE NACHBARN. Sie haben sich nicht aus freiem Willen dazu entschieden, kriminell zu werden, euch zu laut zu sein oder auf zwielichtigen Plätzen ihr Cannabis zu kaufen. Nicht alle, aber die meisten dieser Personen haben eine Geschichte, die verhindert werden hätte können.
Als einfaches Beispiel: Ruft doch mal den Veranstaltungskalender der Stadt Bielefeld auf und begebt euch in die Rolle eines Jugendlichen. Was seht ihr? Theater, Oper, Museen und Stadtführungen. Sehr schnell wird der Kalender wieder geschlossen. Ich möchte nicht sagen, dass diese Veranstaltungen unwichtig sind, im Gegenteil. Kultur, Kunst und Musik sind das Wichtigste und Schönste, was die Menschen hervorzubringen in der Lage sind, aber die Prioritäten werden falsch gesetzt. Die Zielgruppe „Junge Menschen“ wird in Bielefeld zum Großteil völlig ignoriert. Es fehlen den wenigen Veranstaltern die Möglichkeiten, überhaupt Aktionen auf die Beine zu stellen, da kein öffentlicher Raum existiert, der bezahlbar wäre oder zur Verfügung gestellt wird. Wo sind die Konzerte im Black Rose, wo die Partys im Falkendom, die Live Musik im Irish Pub oder im Rock Cafe? Richtig – alle kaputt geklagt. Und diese Beispiele sind nur einige von vielen, nur eine Auswahl aus dem Gesamtproblem.
Ebenso die Problematik mit den Drogendealern. Die Lösung ist einfach, wird aber von der Gesellschaft aus Furcht ignoriert. Nehmt euch Beispiele an den Niederlanden, Portugal und (ausnahmsweise sogar) an den USA! Legalisiert Drogen und schafft staatlich kontrollierte Abgabeorte. Und schon gehört der Park nachts wieder euch und steht frei für romantische Spaziergänge bei Mondschein, ohne sich belästigt zu fühlen.
Das Problem ist, Menschen als „Die Anderen“ zu sehen. Es sind nicht die anderen. Egal welche Hautfarbe, egal welche Sprache sie sprechen, egal wie alt sie sind und egal wo sie herkommen und was sie in ihre Zigarette streuen: Sie sind Teil dieser Gesellschaft.
Daher unsere Forderungen: legal statt illegal, Therapie statt Strafe, Prävention statt Überwachung und ein MITeinander reden statt ein ÜBEReinander reden. Hört nicht nur auf eure Angst, sondern besinnt euch auf die christlichen Werte, die ihr alle schätzt und die ihr als Argumente gegen eine Überfremdung so gerne als Argument nehmt. Hört auch auf euer Herz, euer Mitgefühl und euren Verstand. Versucht hinter allem die Gründe zu sehen und nicht nur die Symptome zu bekämpfen.
Löscht eure brennende Nachbarschaft, nicht nur euer eigenes Haus.
Kevin Mühlfort